Anders als die bekannte Musikband aus Bochum aus Zeiten der Neuen Deutschen Welle, befinden sich die Geier in den Hohen Tauern im Aufwind und verspüren wieder die pure Lust am Leben. Aktuell erlebt der imposante Vogel eine Renaissance der Wiederansiedelung und -eingliederung in der Natur und in den Köpfen der Gesellschaft. Ein Geier galt in früherer Zeit nicht unbedingt als das Lieblingstier der Menschen. Als „Teufel“ wurde er abgestempelt, verschlingt ganze Kadaver, reißt sogar kleine Kinder in den Tod. Letzteres ist natürlich ein Mythos, hat aber wie gesagt nicht besonders zum positiven Image des Geiers beigetragen. Im Alpenraum und generell im europäischen Bergland weiß man über die Eigenschaften des fabelhaften Geschöpfes Bescheid und verhilft ihm seine Population zu vergrößern. Damit der Begriff „Ausrottung“ nicht als Schlusswort im Geschichtsbuch vorkommt.

Im Rahmen einer Pressereise von Nationalparks Austria besuchte ich nach dem Nationalpark Kalkalpen und dem Nationalpark Gesäuse nun den dritten alpinen Nationalpark in Österreich: Nichts berührt uns wie das Unberührte.

Inhalt

Wandern im Krumltal, dem Tal der Geier

An einem sonnigen Juni-Tag gilt für mich folgendes Programm: Vogerl schaun. Südlich von Wörth im Rauriser Tal im Bundesland Salzburg steht ein mit Photovoltaik-Modulen ausgestattetes Gebäude und der Dachform eines Flügels. Das Haus „Könige der Lüfte“ behandelt in einer interaktiven Ausstellung das Leben von Geier und Steinadler im Alpenraum.
Öffnungszeiten Haus „Könige der Lüfte“: 1. Mai bis 26. Oktober: täglich von 10 – 18 Uhr, Winter: mittwochs von 16 bis 18 Uhr.

Noch etwas weiter im Süden Richtung Alpenhauptkamm wurde das Krumltal im Jahr 1986 als Standort der ersten Bartgeierfreilassung im Alpenraum auserkoren. Das Tal erfüllte laut Schweizer Geierexperten alle Voraussetzungen: steile Wände, lawinenreich (daher viele Unfalltiere), keine Straße, wenig Störung. Wer bei der Wandertour im Krumltal keinen Geier am Himmel erblickt, sollte entweder einen Termin beim Optiker vereinbaren lassen oder kann die Vögel verdammt gut von der Steinadler-Population im Krumltal unterscheiden.

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Ferdinand Lainer, am Bild als jener erkennbar, der sich vergeblich abmüht die Spannweite eines Bartgeiers zu erreichen, ist mit der Projektleitung des Greifvogelmonitorings im Nationalpark Hohe Tauern beauftragt. Er führt uns durch das Krumltal zur Bräualm, im Rucksack Stativ und Spektiv für die stationäre Geierbeobachtung. Herausragende Fachmänner begleiten uns auf dieser gemütlichen Wandertour durchs Krumltal. Aus dem Nachbarland Italien ist Dr. Fulvio Genero mit von der Wanderpartie, der wissenschaftliche Leiter der Geierstation in Lago di Cornino, auf welche ich etwas später im Bericht noch genauer darauf eingehe. Auch aus dem topographisch komplett konträren Marchfeld ist hoher Besuch eingetroffen. Dr. Hans Frey, Leiter der Eulen- und Greifvogelstation in Haringsee und Österreichs Vollblutexperte in Sachen Geier hat Flachland gegen Bergland getauscht.

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Ob Kruml oder Krummel – dem Tal der Geier ist die Schreibweise herzlich egal. Und zwar jeden Geiern, hier machen Gänse-, Mönchs- und Bartgeier keine Ausnahme. Gänsegeier sind oft gesehene Gäste im Krumltal, aber nur in der warmen Jahreszeit. Den Winter verbringen die Geier in wärmeren Gefilden wie Kroatien, Italien oder teilweise auch in der griechischen Bergwelt.

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Vom Parkplatz bis zur Bräualm gilt es gemütlich 400 Höhenmeter zu überwinden und gerade mal eine Strecke von 5 Kilometern zu begehen. Verirren ist ebenso unmöglich, man folgt einfach dem Schotterweg neben dem Krumlbach zur Bräualm. So bleibt genug Zeit, die Augen auf den Himmel zu richten und sich von dem fliegenden Getier beeindrucken zu lassen.

Gleich mal auf den ersten Metern im Tal der erste Vogelalarm. Über der Felswand vor uns fliegt ein dunkler Fleck, das geschulte Auge eines Greifvogelexperten gibt aber Entwarnung: nur ein Steinadler. Ach so, na dann. Steinadler sieht man ja sonst auch jeden Tag.

Die Geier lassen aber nicht lange auf sich warten und die ersten Exemplare schwingen sich an den oberen Bergkanten entlang. Ein mitunter imposantes und für manche auch emotionales Erlebnis, die Könige der Lüfte in freier Wildbahn und in absoluter Ruhe zu beobachten. Gänsegeier zählen zu der großen Überzahl, auch hier im Raurisertal und Krumltal. Im Schnitt leben zwischen 30 und 100 Gänsegeier im gesamten Nationalpark. Vor einigen Jahren wurden jedoch alleine im Raurisertal an die 96 Gänsegeier gesichtet, als ein Sommergewitter einige Exemplare Almvieh zur Strecke brachte. Die Nahrungsmittelpolizei verputzte daraufhin die Kadaver. Yummy!

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Aber nicht mit Haut und Haaren. Geier sind bekanntlich Aasfresser und ernähren sich hauptsächlich von dem Aas, welches von Bodenbewohnern übrig gelassen wird. Sehnen und Knochen gelten als ihre Leibspeise. Die nahrhaften Knochen verschlingen sie entweder gleich im Ganzen oder steigen mit ihnen in den Himmel auf und lassen sie auf Felsen fallen. Die zersplitterten Stücke sammeln sie danach auf. Schwer im Magen liegen ihnen die Knochenstücke bei einem Magensaft mit einem sauren ph-Wert von 1 nicht. Anders als Blei. Man möge es kaum glauben, aber Bleivergiftungen sind ein gängiges Problem in der Welt der Geier bzw. generell in der Vogelwelt. Bleihaltige Munition in der Jagd überträgt sich auf Wildtiere, Geier nehmen dieses Blei über den Aaskörper auf. Besonders auffallend ist, dass verunfalte Geier (abgestürzt, gegen Wände geflogen) erhöhte Bleikonzentrationen im Körper aufwiesen. Genau weiß die Wissenschaft es nicht, aber man vermutet dass Blei der Hauptgrund für die stagnierende Geierpopulation sei. Erst seit einigen Jahren wird im Nationalpark ohne Bleimunition geschossen. Eine gesetzliche Regelung gibt es im Moment nicht, auch wenn die Politik grundsätzlich für den Ausstieg aus der Bleimunition plädiert.

Wollen wir mal hoffen, dass den Geiern im Krumltal nichts Schweres im Magen liegt. An der Bräualm angekommen, wird Stativ und Spektiv aufgebaut und auf die andere Talseite gerichtet. Das geschulte Auge der Geierexperten hat einen Bartgeier in der Felswand ausgemacht. Auffallend zu sehen ist die bräunliche Bauchfläche, die im ursprünglichen Sinn eigentlich weiß ist. Nur „wäscht“ sich der Bartgeier in eisenoxidhältigem Schlamm. Warum, das weiß nur der Geier.

Nach einem Käsebrot mit einem ein Zentimeter dicken Käse, dieser liegt mir schwer im Magen, wandern wir wieder retour zum Ausgangspunkt. Fulvio, der wissenschaftliche Leiter der Geierstation in Lago di Cornino, erzählt über das Werden der Station und die Bedeutung für die Geierpopulation. Ausschlaggebend dafür war die sinkende Population der Geier im Winterquartier am Balkan. Die Futterstation wurde in den 80er Jahren eröffnet und diente als Zwischenstation und Futterplatz für die zwischen Alpen und Balkan verkehrenden Geier. Seit 2012 werden auch wissenschaftliche Projekte an der Geierstation durchgeführt. Bestandsaufnahmen, Markierungen und Beringungen von Geiern, einige wurden mit GPS-Sendern ausgestattet. Mittlerweile haben sich die Brutbestände in Italien und Kroatien etwas erholt, auch dank der Zwischenstation im Friaul.

Ein weiterer Trittstein zur Erholung und Ausweitung der Geierpopulation steht am nächsten Tag mit der Bartgeierfreilassung am Programm. Charlie und Lucky, erst einige Monate alte Bartgeier, werden in die Wildnis entlassen.

Bartgeierfreilassung im Untersulzbachtal

Nervös ist gar kein Ausdruck. Eine positive Anspannung aller Beteiligten begleitet die Vorbereitungen der Bartgeierfreilassung. Im Nationalpark-Zentrum von Mittersill verharren die beiden Geier in ihrer Box, in welcher sie aus Haringsee und aus dem Tierpark Berlin hertransportiert wurden. Freilassung klingt im ersten Moment ein wenig romantisch, tatsächlich sind aber vor der eigentlichen Umsetzung einige Arbeiten an den Geiern selbst zu tätigen. So werden die beiden Geier nach einem eigenen internationalen System markiert. Es gilt bestimmte Federn an Flügel und Schwanz zu bleichen, damit diese in den ersten Jahren zugeordnet werden können. Aber nur bis zur ersten Mauserung (Wechsel des Federkleides). Die Fußberingung und der GPS-Sender werden erst kurz vor der Freilassung angebracht. Nach diesem für die Geier offensichtlich unsympathischen Akt werden die beiden Jünglinge in die Transportboxen gebracht und der Weg ins Untersulzbachtal eingeschlagen.

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Etwas überrascht bin ich von dem großen Medienandrang. In Fahrgemeinschaften mit Nationalpark-Bussen werden an die ca. 80 MedienvertreterInnen, Interessierte und MitarbeiterInnen in das Untersulzbachtal bis zur Abichlalm gebracht. Etwas zerrupft sehen sie aus, die beiden Bartgeier, die von ihrer rotbraunen Bauchfläche noch etwas entfernt sind. Fliegen können sie auch noch nicht. Da möchte man eigentlich fragen, warum die Geier jetzt schon freigelassen werden? Genau deswegen. Sie sollen sich so bald als möglich an die neue Umgebung gewöhnen und in dieser das Fliegen und Überleben lernen.

Die beiden Geier werden taleinwärts zum Vorbereitungsplatz getragen. Dieses Unterfangen lässt sich die Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin Astrid Rössler nicht nehmen und transportiert Geier Lucky den gesamten Aufstieg am Rücken. Hinter ihr Geier Charlie und die Gefolgschaft.

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Nach einer sehr emotionalen und berührenden Ansprache der Geiertransporteurin, gilt es die letzten Vorbereitungen für die Aussetzung zu treffen. Beide Geier erhalten einen benummerten Fußring, welcher sie wohl ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Die vorbereiteten GPS-Empfänger werden besonders sorgsam um den Körper geschnallt und sollen Standorte für die nächsten drei bis vier Jahre liefern. Das Besondere daran: Die Daten sind online frei einsehbar.
Einige Meter daneben wird die Axt geschwungen. Schafhaxen werden zerkleinert und dienen als erste „wilde“ Nahrung.

Ein letztes Mal müssen die beiden Geier in die Boxen zurückkehren. Der Aussetzungspunkt befindet sich auf der gegenüberliegenden Talseite, etwa 150 Höhenmeter über unserem Standpunkt und ist nur weglos zu erreichen. Auf einer vorbereiteten Seilbrücke wird der rauschende Untersulzbach überquert, die letzten Höhenmeter stehen für die Beteiligten bevor. Ich bin schon wieder am Rückweg nach Mittersill, als die beiden Geier in ihren Aussetzungspunkt gebracht werden. Noch weitere zwei Wochen werden sich MitarbeiterInnen im Tal aufhalten und die Geier beobachten.

Nun stehen wir bei insgesamt 61 ausgesetzten Bartgeiern im Nationalpark Hohe Tauern. Die Population und die genetische Vielfalt befinden sich jedoch noch nicht im grünen Bereich. Lucky und Charlie werden wohl nicht die letzten ausgewilderten Bartgeier gewesen sein. Der Mensch muss zur Bestandserhaltung noch immer seine Finger mit im Spiel haben – so wie er es auch bei der Ausrottung hatte. Aber in diesem Fall ist mir die Einmischung sehr recht, wenn ich sehe, mit welchem Idealismus manche Menschen sich für die Natur einsetzen. Dann fühle ich mich selbst im Aufwind. So wie die Bartgeier.

Weiterführend: Infos zu Bartgeier & Co.

> Bartgeier Online Monitoring NP Hohe Tauern
> Projektbeschreibung Wiedereinbürgerung und Monitoring NP Hohe Tauern
> Stiftung Pro Bartgeier
> Internationale Geierfoundation, Vulture Conservation Foundation VCF


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