Plötzlich Graupelschauer, klatschnasse Schuhe, nahezu keine Sicht – und dennoch volle Verantwortung für die Gruppe. Eine Tourenführung ist mehr als nur Wandern. Wie man mit Ausbildung und Verantwortung auch stürmische Etappen meistert.
Hurtig wird der Regenschutz aus dem Rucksack gezerrt. Mit geübten Griffen und einem Hauch von Hektik helfen wir einander, den Regenponcho über die sperrigen Rucksäcke zu ziehen – so ordentlich wie möglich, denn plötzlich geht es Schlag auf Schlag: Erst verdunkelt sich der Himmel, dann pfeift uns Wind entgegen; und kurz darauf prasselt der Graupelschauer seitlich auf uns nieder, als hätte jemand Eiskörner in einen Ventilator geschleudert. Wie winzige Nadelstiche stechen die Körner auf nackte Waden und ins Gesicht. Das Prasseln hält nicht lange an, doch was folgt, ist kaum besser: Der Regen wird stärker, dichter, schwerer. Innerhalb kürzester Zeit sind alle Schuhe in der Gruppe durchweicht und klatschnass bis auf die Sohle.

Zum Glück war das Ziel nicht mehr weit: das Karl-Ludwig-Haus, fünfte Etappe unserer Tour auf dem Nordalpenweg 01 über die Rax. Doch was für ein Finale. In meinen Schuhen schwappte das Wasser bei jedem Schritt, die Wanderhose sog sich voll wie ein Schwamm, das Wasser kroch unaufhaltsam nach oben. Trotz aller Bemühungen um meinen Regenschutz musste ich in der Hütte meine Unterhose auswinden.
Den restlichen Abend verbrachten wir damit, unsere durchweichten Sachen halbwegs trocken zu bekommen. Ein Schuhwärmer, der teilweise vor sich hinheizte, und ein Holzofen im Gastraum waren unsere Rettung. Und irgendwann, als die erste Wärme in die Knochen zurückkehrte, konnten wir tatsächlich schon ein wenig über diesen nassen Zielsprint zum Karl-Ludwig-Haus lachen.
Verantwortung für die Gruppe
Alles gut gegangen, dachte ich mir, während ich die wärmende Heiße Schokolade schlürfte und meinem Regenponcho beim Trocknen zusah. Als Tourenführer hatte ich die Verantwortung für die Gruppe. Es brauchte von mir keine gesonderte Erklärung oder Aufforderung: Als die ersten Eiskörner niedergingen, wussten alle, was zu tun war. Da kein passender Unterschlupf in der umliegenden Nähe und die Schutzhütte nicht mehr weit entfernt war, war auch klar, dass wir jetzt einfach zur Hütte „durchziehen“. Alles gut gegangen…
Als Tourenführer habe ich die die Letztverantwortung für die Gruppe. Ich entscheide in Situationen, was für das Wohl und für die Sicherheit der Gruppe – aus der jeweils aktuellen Sichtweise – am besten ist. 19 Tourentage habe ich seit Februar 2023 für die Sektion Weitwanderer organisiert und geführt. Im Nachhinein betrachtet, war diese Situation auf der Rax die unangenehmste im Rahmen einer Wanderführung für mich. Akute Sicherheitsgefahr bestand zwar nicht (kein Gewitter, keine abschüssigen Stellen), aber die Vorstellung, dass es die Gruppe in so einer Ausnahmesituation „zerreißt“, ist dennoch nicht von der Hand zu weisen. Zu verschieden sind die Erfahrungen der einzelnen Personen, zu unterschiedlich der Umgang mit solchen Situationen.

Tourenführung beim Alpenverein
Ich weiß nicht mehr, ob ich gefragt wurde, oder ob ich selbst zum Entschluss kam, Wanderungen für die Gruppe Wien der Sektion Weitwanderer zu organisieren. Grundsätzlich ist es die Entscheidung der Sektion, wer auf eine Gruppe „losgelassen“ wird. Hierbei muss gesagt sein: Eine Ausbildungspflicht für werdende oder bereits bestehende TourenführerInnen besteht nicht – aber eine sehr starke Empfehlung für eine Ausbildung.
Der ÖAV legt großen Wert darauf, dass geführte Touren nicht nur schön und erholsam sind, sondern vor allem sicher ablaufen. Wer im Namen des Alpenvereins Touren führt, sollte die passende Ausbildung nachweisen können. Und die gibt’s nicht nach dem Motto: „Ich wandere seit 30 Jahren, ich kenn mich aus“, sondern über die Alpenverein-Akademie oder über den Verband der Alpinen Vereine Österreichs (VAVÖ). Je nach Tourenart gibt es verschiedene Ausbildungswege: ÜbungsleiterIn, InstruktorIn, WanderführerIn, BergwanderführerIn. Ich selbst habe die Ausbildung zum Wanderführer beim VAVÖ im Jahr 2022 absolviert.
Entscheidungen und Versicherungen
Gute Planung ist das A und O – Wetterprognosen, Routenwahl, Leistungsniveau der Gruppe, Notfallstrategien: All das gehört zur Tourenvorbereitung wie der Kaspressknödel zur Hütte. Während der Tour sind TourenführerInnen außerdem dafür verantwortlich, ihre Gruppe regelmäßig zu informieren – etwa über das Gelände, das Wetter oder warum man jetzt nicht doch noch „schnell da rauf“ kraxeln sollte. Wenn’s nicht passt, wird im extremen Fall auch mal umgedreht – wobei es bei mir noch nie so weit kommen musste. Ein Umdrehen hat nichts mit Feigheit zu tun, sondern mit gesunder Verantwortung.
Apropos Verantwortung: Der Alpenverein steht hinter seinen TourenführerInnen – zumindest, solange sie im Rahmen ihrer Ausbildung und Befugnisse handeln. In dem Fall greift eine Haftpflichtversicherung. Wer allerdings auf eigene Faust gefährliche Aktionen startet, sollte besser auch einen guten Anwalt im Rucksack haben. Für alle ÖAV-Mitglieder gilt zudem: Im Fall der Fälle greift auch die Unfall- und Bergungskostenversicherung.
Noch ein Wort zur rechtlichen Seite: Die Tourenführung im Alpenverein ist eine ehrenamtliche Tätigkeit. Wer mit dem Gedanken spielt, damit das große Geld zu verdienen, ist hier fehl am Platz. Zulässig ist lediglich der Ersatz von Spesen (Fahrtkosten, Übernachtungen). Kommerzielle Touren darf der Alpenverein aus Prinzip nicht anbieten. Dafür gibt es professionelle Anbieter am Markt.
Gruppengröße
Was die Gruppengröße angeht, gilt: lieber klein, fein und überschaubar. Maximal zehn bis zwölf Personen pro TourenführerIn sind eine gängige Faustregel. Bei größeren Gruppen sollte Verstärkung mitkommen, also weitere ausgebildete Führungskräfte. Jedoch greift hier – wie so oft – der juristische Grundsatz: Es kommt darauf an.

Bei Touren im Gebirge halte ich mich an diese Faustregel und bleibe hier sogar noch im unteren Bereich. Bei Touren im Wienerwald können es aber mehr Personen sein. Wobei auch hier wieder gilt: Es kommt darauf an. Beispielsweise führte ich bei einer meiner ersten Touren rund 20 Personen ein Stück dem Wienfluss entlang. Von der Wegstrecke mehr als einfach, jedoch orientierungstechnisch aufgrund der selbst zusammengestellten Strecke mit vielen Abzweigungen und unmarkierten Wegstrecken herausfordernd. Als sich die Gruppe immer wieder wie eine Ziehharmonika auseinanderstreckte, kamen leichter Stress und Unbehagen in mir hoch. Es war ein ständiges Stop-and-Go – trotz unterschiedlicher Geh-Tempi. Auf einer gut markierten und ausgeschilderten und vorgegebenen Strecke würde ich weniger Unbehagen empfinden. Für mich habe ich aber festgestellt, dass ich als alleiniger Tourenführer – egal, welche Strecke – nicht mehr mit einer Gruppengröße von rund 20 Personen plane.
Informationen verhindern Diskussionen
Vor meinen Touren erhalten die angemeldeten Personen ein detailliertes Informationsblatt mit allen wichtigen Daten zur bevorstehenden Tour. Wo ist der Treffpunkt, wo endet die Tour? Wie lange sind wir unterwegs, kehren wir irgendwo ein, braucht es Proviant? Wie einfach oder schwierig ist die Tour, gibt es eine Schlüsselstelle? Gibt es Umgehungsvarianten?
Je detaillierter die Informationen sind, desto eher kann ich auch jene Personen ansprechen, die sich den Schwierigkeiten gewachsen fühlen. Wenn’s während der Tour heißt: „Das wusste ich nicht“, ist es meist schon zu spät. Beispielsweise führte ich im Vorfeld der Tour eine Umgehungsvariante des Gamsecksteiges auf dem Nordalpenweg von der Rax zur Schneealpe ins Rennen. Der ausgesetzte Steig mit Versicherungen im Abstieg wurde auch von zwei Personen mittels der bereits vorher angebotenen Variante umgangen. Dass die Umgehungsvariante vor Ort nochmals anders geplant wurde, ist eine andere Geschichte – setzt aber jedenfalls eine flexible Tourenplanung voraus.
Ich mach’s gern!
Sämtliche TourenführerInnen der Sektion Weitwanderer machen sich bereits Monate vorher Gedanken über die Touren, die sie für attraktiv und/oder besonders erachten – und die sie auch anderen Menschen näherbringen möchten. Diese Überlegungen landen drei Mal im Jahr in der Heftmitte unseres Sektionsmagazins. Alle Sektionstouren liefen bislang unfallfrei über die Bühne. Damit dies auch so bleibt, sorgen regelmäßige Fortbildungen für TourenführerInnen, welche wir erst zu Pfingsten in Mariazell absolviert haben.
Ich kann für mich selbst sagen: Ich mach’s gern! Es ist schön, wenn immer wieder bekannte Gesichter zu meinen Touren kommen. Ich freue mich aber genauso, wenn neue Personen das kostenlose Führungsangebot nutzen. Gemeinsam ein Ziel zu erreichen oder gemeinsam unterwegs zu sein – darum geht’s. Und wer weiß, vielleicht willst auch Du in die Wanderführungsschuhe schlüpfen? Melde dich einfach bei deiner Lieblingssektion (=Weitwanderer).

Dieser Artikel erschien erstmalig im Magazin weitweg 3/2025 der ÖAV Sektion Weitwanderer.
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