Der Atlantik rauscht, Möwen kreischen über zerklüfteten Klippen, und der Wind trägt den Duft von harzigen Lack-Zistrosen und Salz. Willkommen auf dem mehr als 220 Kilometer langen „Fischerweg“, einem Teilstück der „Rota Vicentina“ – einem der schönsten Wegenetze Europas. In vier Tagen führt uns das Herz des Fischerweges auf rund 75 Kilometern entlang der Küste des Alentejo, von Porto Covo bis nach Odeceixe, einem der ersten Dörfer der Algarve.

Anreise nach Porto Covo, oder: Mit Festivalspirit in Richtung Wanderidylle

Der Tag in Lissabon beginnt unrund. Nach einigen Tagen Musikfestival und Sightseeing mit unseren Freunden wachen wir mit leicht flauem Magen auf – nicht ganz sicher, ob es an der Vorfreude auf die Wanderung oder der letzten Cocktailrunde liegt. Der ursprüngliche Plan, uns noch einmal bei einem unserer Lieblingslokale in Lissabon „Flora & Fauna“ mit Frühstück zu stärken, scheitert an einer meterlangen Schlange hungriger Menschen. Wir entscheiden spontan uns zu trennen und wir, Maria und ich, brechen direkt Richtung Busbahnhof auf. Für unsere Freunde geht es wieder zurück nach Österreich.

Die Busfahrt nach Porto Covo zieht sich über zwei Stunden quer in den Süden, über die beeindruckende 17 Kilometer lange Vasco-da-Gama-Brücke vorbei an Korkeichen- und Eukalyptuswäldern. Die Landschaft gleitet an uns vorbei – gemeinsam mit unserem Bewusstsein: Maria nickt immer wieder weg, während ich ebenfalls regelmäßig den Kampf gegen den Sekundenschlaf verliere.

In Porto Covo sind wir wieder munter. Es pfeift uns ein frischer Wind um die Ohren: deutlich kühler als gedacht, aber herrlich nach Meer riechend. Die blau-weißen Häuserfronten des Dorfes leuchten fotogen in der Nachmittagssonne. Im Zentrum herrscht in der Fußgängerzone geschäftiges Treiben, sodass wir weise beschließen, früh in einer Pizzeria zu essen. Pasta und Pizza: Wir sind glücklich mit unserer Wahl, und froh über den Vorsprung, denn kaum sind unsere Teller leer, bildet sich draußen eine lange Schlange Wartender.

Den Abschluss bildet ein Glas Vinho Verde auf der Rooftop-Terrasse eines naheliegenden Hostels. Morgen beginnt die Wanderung. Heute haben wir uns perfekt auf die portugiesische Küste eingestimmt.

Tag 1: Von Porto Covo nach Vila Nova de Milfontes (ca. 20 km)

Gleich zu Beginn sorgt das Wetter für Überraschungen: Statt portugiesischem Küstenzauber erwartet uns in Porto Covo eine fein gesponnene Nebeldecke und eine Stimmung, die eher nach Highlands aussieht. Doch Wanderlust kennt bekanntlich keine Ausnahme: Also schnell in die lokale Panaderia abgebogen, und mit süßem Frühstück eine Sitzbank am kleinen Hafen aufgesucht.

Nach der frühen Stärkung geht es los: Die ersten Markierungen leuchten in grün und blau, und schon gleitet uns der erste Sand unter die Sohlen – klarer Hinweis: Dies ist erst der Anfang. Zwischen unserem ständigen Begleiter, der Gelben Mittagsblume, zieht sich der Pfad Richtung „Pfirsichinsel“, wo wir zum ersten Mal ans Meer hinabgehen. Es folgt ein Strandspaziergang, der uns schnell zu einer alten Festung bringt. Zeit für den ersten Halt: Schuhe ausklopfen, Sand raus.

Im Laufe des Vormittags reißt der Himmel auf! Zwar ist es erstaunlich kühl für Anfang September, aber die Sonne entfaltet trotzdem ihre volle Stärke. Die Route verwandelt sich mehr und mehr in eine Dünenwanderung. An einem surfenden Strand wird pausiert und Maria zückt das letzte, aus Lissabon gerettete, Pastéis de Nata hervor.

Am Praia do Malhão stehen wir plötzlich mit Badehose bzw. Bikini im Wind – eine spontane Entscheidung. Maria spaziert tapfer ins Meer hinein, während ich eher die Rolle des Rettungsschwimmers am Strand gebe und maximal meine Waden befeuchte. Wieder trockengelegt, folgen wir schön angelegten Holzstegen Richtung Süden. Erste Storchennester tauchen auf, diese sind jedoch alle verlassen, sind sie bereits ausgeflogen?

Die letzten Kilometer nach Vila Nova de Milfontes bestehen erneut hauptsächlich aus Sand, aber die spektakuläre Küste belohnt jedes Schmirgelpapiergefühl an den Fersen. Im Ort angekommen beziehen wir zunächst unsere Unterkunft, ehe wir uns auf die Suche nach einem Abendessen machen. In einer nahegelegenen Bar locken Tapas. Weil mit unserem Hunger alles von der Speisekarte großartig klingt, bestellen wir gleich mal fünf Teller. Von der Kellnerin werden wir jedoch wohlwissend auf drei Teller begrenzt. Zum Glück: Die „Tapas“ sind riesig.

Tag 2: Von Vila Nova de Milfontes nach Almograve (ca. 15 km)

In Vila Nova de Milfontes ist am Morgen gefühlt alles noch im Tiefschlaf. Bis auf ein modernes Lokal, das genauso auch in Wien-Neubau zu finden sein könnte. Wir schlagen zu: Ich bestelle Pancakes, Maria geht aufs Ganze mit Croissant plus Ziegenkäse und Honig – kulinarisch befinden wir uns schon auf Etappenziel-Niveau.

Gestärkt spazieren wir zur kleinen Fähre unterhalb der Burg hinunter. Dort residiert eine respektable Katzengang (über 20 pelzige Hafenchefs), die uns unbeeindruckt beobachten. Die Überfahrt über den Rio Mira dauert wenige Minuten, der Preis ist stolz: 5 Euro pro Person, aber die Überfahrt spart uns dafür einige langweilige Asphaltkilometer. Sehr vernünftig, schließlich wollen wir die gesparte Zeit und Energie abends lieber in Almograve am Strand investieren.

Auf der anderen Flussseite angekommen wandern wir kurz über den Strand, gehen dann wieder ans Meer heran. Heute zeigt sich der Boden in neuem Design: rötliche Sandwege – der Atlantik weiß schließlich, wie man Abwechslung liefert. Erst geht es wieder über Dünen, dann überraschend durch ein schattiges Waldstück. Die Pause fällt erneut klassisch aus: Pastéis de Nata, Blick auf spektakuläre Felsformationen und laut rauschende Wellen. Neu hinzugekommen ist der harzige Duft der klebrigen Lack-Zistrosen, die entlang der Wegstrecke teilweise in rauen Mengen wachsen.

Kurz vor Almograve wandern wir auf einer Landstraße entlang, bevor wir unser Tagesziel erreichen. Untergebracht sind wir in einem Hostel mit eigenem Bad. Der pure Luxus unter Fernwandernden. Doch wir verschwenden nicht viel Zeit mit Indoor-Ambiente, sondern ziehen sofort Richtung Strand los.

Dort verbringen wir den Nachmittag und Abend mit Getränken, Bruschetta mit Tomaten und Ziegenkäse, bestellen Toast „Alentejo-Style“ und beobachten die untergehende Sonne. In der Beach-Bar erspähen wir andere wanderambitionierte Menschen, offenbar ebenfalls auf der Rota Vicentina unterwegs. Bislang sind uns nur wenige Seelen begegnet. In Almograve trifft man sie jedenfalls an der Strandbar wieder.

Tag 3: Von Almograve nach Zambujeira do Mar (ca. 22 km)

Für Frühstück müssen wir uns alle Tage lang selbst kümmern. In Almograve gibt’s Frühstück in einem winzigen Laden mit Cafétheke, allerlei Desserts und natürlich den unvermeidlichen Pastéis de Nata. Außerdem treffen wir dort abermals auf einige Mitwanderer, die mit ähnlich sandigen Schuhen Richtung Süden oder Norden ziehen – die Gehrichtung auf der Rota Vicentina ist nicht vorgegeben.

Beim frühen Losgehen entdecken wir im Meer ein paar Einheimische, die bei Ebbe Muscheln sammeln. Sie sind nicht die einzigen Waghalsigen entlang der Küste, die am Rande des Atlantiks stehen und versuchen, etwas Essbares und Verkaufbares herauszuholen. Etwas weiter oberhalb dieses Schauspiels zeigt sich die Strecke heute abwechslungsreicher: schattige Waldpassagen, spektakuläre Küstenwege und Foto-Hotspots, wie ein schmaler Grat zwischen Klippe und Strand: perfekt für dramatisch wirkende Bilder. Dazwischen immer wieder landwirtschaftliche Überraschungen, etwa ein stolzes Anbaugebiet für Süßkartoffeln.

Kurz geht es ins Landesinnere, das Meeresrauschen verstummt – fast unheimlich – dann taucht der kleine Ort Cavaleiro auf: Zeit für eine Pause in einer Bar. Auf den Teller kommt Toast, gefüllt mit Karotten, Tomaten, Zwiebeln, Käse – und garniert mit Kartoffelchips, weil Portugal eben weiß, wie man Kohlenhydrate richtig stapelt. Ein älterer Herr am Nebentisch versucht, sich angeregt mit uns zu unterhalten, doch unser Portugiesisch beschränkt sich leider auf die Grundlagen, um nicht verhungern oder verdursten zu müssen. Somit bleibt es ein eher einseitiger Dialog.

Weiter geht’s zu einem Leuchtturm und angrenzendem Vogelgebiet. Hier beobachten wir erstmals Störche, die zwar nicht mehr stoisch auf ihren Felsnestern thronen, aber die Rota-Vicentina-Touristen von oben im Blick haben. Auf sandigen Wegen oberhalb der Klippen ziehen wir südwärts.

Die letzten Kilometer nach Zambujeira do Mar wandern wir neben einer Straße, werden zum Abschluss jedoch mit einem Blick auf Strand und Atlantik belohnt. Die Unterkunft ist puristisch: Das vorhandene Zimmerfenster lässt uns in einen weiteren Innenraum blicken, und das Gemeinschaftsbad entwickelt sich nach dem Duschen zu einer Sauna. Das kleine Fenster im Bad sollte trotzdem eher geschlossen bleiben, will man von draußen vorbeispazierenden Personen nicht auf dem stillen Örtchen beobachtet werden. Egal, Rucksack abgelegt, rein in die Badesachen und ab zum Strand. Gelbe Fahnen bedeuten: „Bitte nicht ertrinken – Füße dürfen aber nass werden“ – also wird geplanscht, statt geschwommen.

Abends stärken wir uns mit gegrilltem Schwertfisch, sind zufrieden satt und fallen zurück in unsere minimalistische Herberge.

Tag 4: Von Zambujeira do Mar nach Odeceixe (ca. 18 km)

Unser letzter Wandertag beginnt wie inzwischen liebgewonnen: In Zambujeira do Mar schnappen wir uns in einer kleinen Bäckerei Frühstücksproviant und setzen uns an den Strand. Croissant und Kaffee in beiden Händen, während andere deutlich motivierter ihren Tag mit „herabschauendem Hund“ und „Sonnengruß“ beginnen. Wir entscheiden uns dafür, Yoga lieber den Motivierten am Strand zu überlassen und widmen uns stattdessen unserem mit Meeresrauschen hinterlegten Frühstück.

Der Weg führt uns auch heute wieder auf traumhafte Küstenpfade, zwischendurch durch überraschend schlammige Waldstücke, die uns kurzzeitig vom allgegenwärtigen Sand ablenken. Vorbei an riesigen Gewächshäusern wandern wir kurz an einer Straße entlang, da ein Pfad direkt an der Klippe wegen Einsturzgefahr gesperrt ist. Bald darauf lockt jedoch wieder die Küste: In Azenha do Mar nehmen wir Platz in einem Café mit Premiumblick aufs Meer. Um uns herum lauern Katzen auf herunterfallenden Thunfisch-Toast.

Weiter geht es – der Sand ist natürlich zuverlässig zurück in den Schuhen – und dann passiert es: Am Nachmittag öffnet sich plötzlich ein prächtiger Blick auf den Praia de Odeceixe und den Rio Seixe. Der Fluss ist hier nicht nur fotogen, sondern auch geografische Grenze: Im Norden liegt das Alentejo, im Süden beginnt die Algarve. Bei Ebbe könnte man sogar mutig durch das Wasser waten, um auf die andere Seite zu gelangen. Wir wählen jedoch den zivilisierten Weg und wandern flussaufwärts über die Straße und Brücke nach Odeceixe.

Dort finden wir die Bushaltestelle. Genau hier endet unsere viertägige Wanderung auf der Rota Vicentina. Nicht jedoch unser Portugal-Urlaub – der geht weiter, mal wandernd, mal genüsslich am Strand liegend, aber immer mit Pastéis de Nata in Reichweite.

Fazit nach vier Tagen auf der Rota Vicentina

Wer das Herzstück der Rota Vicentina erleben will, ist hier richtig aufgehoben. Der Alentejo zeigt sich abwechslungsreich und charmant: unzählige Sandwege (inklusive Langzeitabonnement im Schuh), spektakuläre Ausblicke, Fischerorte zwischen Authentizität und Tourismusaufschwung, Begegnungen mit anderen Wandernden. Zwar nie wirklich einsam, aber weit entfernt vom abschreckenden Jakobsweg-Trubel. Technisch leicht, mit sanften Höhenmetern, also bestens geeignet für Genusswandernde. Portugiesischkenntnisse helfen bei der älteren Bevölkerung, bei der jüngeren reicht Englisch völlig aus, um Essen, Bett und Getränke zu sichern. Wer von Odeceixe weiterwandert, erreicht schließlich das südwestlichste Ende Festland-Europas. Dort wartet – man glaubt es kaum – die berühmte „letzte Bratwurst vor Amerika“. Wer sie genießen will, sollte also nie aufhören, Richtung Süden zu wandern – und immer ein bisschen Platz im Schuh für Sand lassen.

Daten und Fakten

Die „Rota Vicentina“ ist ein Netz von Wanderwegen mit mehr als 700 Kilometern Länge im Südwesten Portugals. Zwei Weitwanderwege dienen dabei als Hauptwege: der „Historische Weg“ und der „Fischerweg“. Während der Historische Weg vor allem im Hinterland des Alentejo und der Algarve seine Linien zieht, bleibt der Fischerweg großteils an der Atlantikküste und verläuft sogar noch an der Algarve entlang bis nach Lagos. Etliche Rundwanderwege und Verbindungswege ergänzen das Wegenetz. Der Fischerweg ist rund 226 Kilometer lang, 13 offizielle Etappen sind dafür veranschlagt. Die Ursprungs-Etappen – das Herz des Fischerweges – decken die vier Etappen zwischen Porto Covo und Odeceixe ab. Für diesen Abschnitt sind rund 75 Kilometer und insgesamt nur 600 Höhenmeter zu veranschlagen.

Beste Jahreszeit: Man wandert entlang des Fischerweges nahezu vollständig im „Naturpark Südwest-Alentejo und Costa Vicentina“, und darf sich einem entsprechenden Natur-Schauspiel erfreuen. Das Klima ist mediterran und windig, Sommer sind vergleichsweise angenehm kühl, wenngleich auch die Sonneneinstrahlung nicht zu unterschätzen ist und die Strände voll sind – daher wird im Sommer wenig auf der Rota Vicentina gewandert. Im Frühling blüht es intensiv an der Costa Vicentina, botanisch also die beste Jahreszeit für eine Wandertour. Frühling und Herbst sind somit die besten Wanderjahreszeiten – wir selbst waren Anfang September unterwegs.

Anreise: Öffentliche Anreise via Zug wurde zwar ins Auge gefasst, aber der Aufwand war im Jahr 2024 noch zu groß. Daher: Flug nach Lissabon, mit dem Bus „Rede Expressos“ von Lissabon nach Porto Covo.

Wegcharakteristik: Technisch einfache Wanderwege, wenige Steigungen, die vielen Sandwege sorgen aber für teils langsames Vorankommen und beanspruchen die Muskulatur auf andere Art und Weise. Der Weg ist gut markiert und ausgeschildert.

Unterkünfte: Privatpensionen und -zimmer in den Dörfern, die mittlerweile auf Tagesgäste ausgelegt sind. Etappeneinteilung jedoch kaum anders möglich als vorgegeben, da nicht viele Dörfer mit Unterkünften durchquert werden. Zelten ist entlang des gesamten Weges verboten.

Literatur:

  • Halbartschlager, Ruß: Rother Wanderführer Rota Vicentina, 2025
  • Rühlig: Conrad Stein Portugal Fischerweg, 2025
  • Kartenmaterial: freytag & berndt Costa Vicentina, 1:50.000, 2023

Dieser Artikel erschien erstmalig im Magazin weitweg 3/2025 der ÖAV Sektion Weitwanderer.


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