Das blau schimmernde Mittelmeer zur rechten Hand, die Gipfel des Taurusgebirges über unseren Köpfen, dichte Wälder und blökende Ziegen, alte Trampelpfade, die die Dörfer der Teke-Halbinsel verbinden, Ruinen vergangener Kulturen, einsame Nächte im Zelt und jede Mittagspause an einem anderen Strand ins kühle Nass hüpfen – der Lykische Weg vereint auf über 500 Kilometern entlang der türkischen Mittelmeerküste alles, was eine mehrwöchige Wanderung braucht, um zu einem unvergesslichen Abenteuer zu werden.
Wir schnüren nach entspannenden, aber ereignisarmen Tagen an den Stränden in und um Ölüdeniz unsere Wanderschuhe, um den beliebtesten Fernwanderweg der Türkei zu begehen. Unser Ziel ist die 500 Kilometer entfernte Hafenstadt Antalya.

Tag 1: Start: Ovacık • Ziel: Kirme • Laufzeit 4,5 Stunden • Distanz: 10 Kilometer

Pünktlich um 12 Uhr mittags stehen wir dort, wo wir um diese Zeit eigentlich nicht stehen sollten: In Ovacık, am Beginn des Lykischen Weges, der Fethiye mit Antalya verbindet. Auf unseren Rücken das volle Programm. Zu dem üblichen Reisegepäck gesellen sich 3 Liter Wasser, 1 Kilo Lokum, die berühmte türkische Süßigkeit, eine Handvoll Pakete Kekse, Trockenfrüchte, Kuchen, etliche Portionen Instantnudeln, Brot, Käse, Oliven und noch mehr Nudeln, Tomatensoße und zwei Zwiebeln. Der einfache Schotterweg und die Aussicht auf die Blaue Lagune von Ölüdeniz versüßen uns zwar den Beginn unserer Wanderung, doch spätestens nachdem uns eine Gruppe Tageswanderer beschwingt überholt und mit riesigen Augen ungläubig auf unser Gepäck starrt, das sich bis hoch über unseren Köpfen türmt, wünschen wir uns einen Esel herbei.

Aussicht auf dem Lykischen Weg
Aussicht auf dem Lykischen Weg

Die Mittagssonne brennt erbarmungslos herab. Der Weg wird schnell anspruchsvoller. Mittlerweile klettern wir schnaufend, aber stetig einen steinigen und schmalen Pfad hinauf. Bald helfen auch die schönen Ausblicke auf das blaue Meer und die Bucht bei Ölüdeniz nicht mehr. Die seltenen, 10 Meter langen Abschnitte, die eben und frei von riesigen Steinbrocken sind, genießen wir, wie einen lang ersehnten Urlaub. Dennoch: Nach jeder vollen Stunde gönnen wir uns eine kleine Verschnaufpause, recken und strecken uns, bevor wir wieder unsere Rücksäcke hochhieven und weiter marschieren.
Die lange Hose wurde schon längst gegen die Kurze getauscht, als wir gegen 16 Uhr ein kleines Dorf, etwa 3 Kilometer vor Kirme, erreichen. An einem Wasserbecken verschnaufen wir gemeinsam mit einer älteren Dorfbewohnerin, die ebenfalls ihren Wasservorrat an diesem Brunnen auffrischt. Wir füllen unsere Trinkflaschen wieder auf, machen uns über unsere Kekse her und ziehen wieder los. Der Schotterweg ist nun breit und einfach. Das laute Brummen unzähliger Bienen dringt zu uns herüber. In den Wäldern auf beiden Seiten des Weges wird der ausgezeichnete türkische Honig produziert. In langen Zweierreihen stehen hier die Bienenkästen auf dem Waldboden, aus denen es unaufhörlich summt.
Wir durchqueren Kirme, pflücken auf dem Weg noch zwei Granatäpfel, die nun überall reif und schwer an den Bäumen hängen. Hinter dem kleinen Ort beginnt der lange Abstieg, der bis nach Faralya und die Bucht des Butterfly Valleys führt. Etwas abseits des Weges finden wir schnell eine ebene Fläche. Die uns umgebenden Berge färben sich schon im Licht der sinkenden Sonne, als wir gegen 17.30 unser Zelt aufbauen. Schnell räumen wir noch einige wenige Steine zur Seite. “Gibt es hier eigentlich schon Skorpione?” – “Bestimmt”, grummelt es gedankenverloren hinter dem Gaskocher hervor. Als der Muezzin in Kirme das letzte Mal an diesem Tag zum Gebet ruft, liegen wir schon lange in unseren Schlafsäcken.

Sonnenuntergang Lykischer Weg
Sonnenuntergang Lykischer Weg

Tag 7: Start: etwa 5 km vor Kiliçli • Ziel: etwa 8 km vor Üçagiz • Gehzeit 6.45 h • Distanz: 14 Kilometer

Kurz vor Sonnenaufgang wachen wir auf. Zwölf Stunden komatöser Schlaf liegen hinter uns. Die Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers lassen uns staunen. Waren wir Unteweuns gestern Abend noch sicher, uns heute vor Muskelkater, sowie schmerzenden Füßen und Beinen kaum bewegen zu können, fühlen wir uns jetzt wie neugeboren. Wir schauen der Sonne zu, wie sie langsam über den Horizont steigt und auch wir machen uns startklar für einen weiteren langen Tag, frühstücken Schokoladenkuchen und Kaffee, ziehen wieder los.
1,5 Stunden Aufstieg über Geröll und Felsen. Wir kriechen keuchend nach oben, immer weiter weg vom Meer. 24 Stunden nachdem wir unsere Wasservorräte wieder aufgefüllt haben, ist nicht mehr viel übrig. In der alten Zisterne, die wir auf dem Weg entdecken, befindet sich nur verschlammtes Wasser. Wir laufen weiter. Dann treffen wir auf eine breite Schotterstraße. Sie ist eben und unter den vielen Steinen erkennen wir sogar ein bisschen Asphalt. Wie im Traum gehen wir die Straße entlang, schaffen 3 Kilometer in nur 30 Minuten. Nach all dem Geröll und Fels fühlt es sich an, als würden wir fliegen. Vor einem einfachen Haus versucht gerade eine gesamte Familie ihre blökenden Ziegen hinter eine Absperrung zu treiben. Wir dürfen unsere Flaschen an dem Waschbecken vor ihrem Haus auffüllen.
Bald sehen wir in einiger Entfernung eine Ansammlung von Häusern, das Dorf Kiliçli. Doch der Wanderweg biegt vorher ab. Der Weg bleibt vergleichsweise einfach. Wir sehen viele Ziegen und viel Geröll. Wir sind jetzt weit im Landesinneren. Bald führt der Weg in einen kleinen Wald und wird steiniger. Als wir gerade Instantnudeln kochen, fängt es an zu nieseln. Wir kochen einen Liter Wasser, wollen jeweils zwei Pakete Instantnudeln essen. 700 Kalorien, die wir mehr als benötigen. Dann ein kleiner Moment der Unachtsamkeit – der Topf auf dem kleinen Gaskocher kippt um. Ungläubig starren wir auf die Pfütze; können unser Unglück kaum fassen.
Ein Großteil unserer Wasservorräte ist dahin. Langsam fassen wir uns wieder, essen jetzt jeder nur ein Paket (mehr Wasser haben wir nicht) und ziehen weiter. Nach etwas weniger als einer Stunde sehen wir unter uns eine schmale Meerzunge. Lykische Steingräber säumen den Pfad, eine Schildkröte passiert seelenruhig unseren Weg. Unten angekommen treffen wir auf einen steinigen Strand, einige weitere Gräber stehen am und im Wasser. Wir springen kurz ins kühle Nass.
Der Weg wird wieder einfacher. Lange laufen wir über eine weite, lehmige Ebene landeinwärts. Dann wird es wieder eng, wieder steinig, wieder steil. Gegen 17 Uhr bauen wir, etwas abseits des Weges völlig erschöpft und durstig unser Zelt auf.
Gerade möchten wir wohlig in unseren komatösen Schlaf fallen, da hören wir ein Scharren und immer wieder ein lautes Rumsen aus einiger Entfernung. Dann sind wir plötzlich hellwach. Ein lautes, ein deutliches Grunzen neben unserem Zelt. Seit fast einem Tag haben wir keine Menschenseele getroffen, kein Haus gesehen und nun grunzt ein Wildschwein neben unserem Zelt. Ängstlich liegen wir wach. Unsere Sinne sind geschärft, doch immer wieder übermannt uns der Schlaf. Immer wieder weckt uns deutliches Grunzen und ein seltsames Scharren. Doch auch diese Nacht vergeht.

Tag 12: Start: irgendwo zwischen dem Leuchtturm Gelidonya und der Bucht von Adrasan • Ziel: etwa 4 km vor Olympos • Gehzeit: 8.45 h • Distanz: 21 Kilometer

Leuchtturm Gelidonya
Leuchtturm Gelidonya

Der 12. Wandertag beginnt um 6.30 Uhr mit Schwarztee und Kuchen. Einige Zeit laufen wir entlang der Küste. Das blaue Meer, die sanften, grünen Kurven und Hügel sowie die schroffen Felsen und Berge immer im Blick. Dann geht es landeinwärts. Nach einem 45-minütigen, steilen Abstieg folgen ein beschwerlicher, ein kräftezehrender 3,5-stündiger Aufstieg und ein weiterer steiler Abstieg. Völlig entkräftet erreichen wir die Adrasan Bucht.
Der Ort ist voller leerer Hotels und Restaurants. Die Supermärkte sind geschlossen. Vereinzelt braten sich Sonnenhungrige am Strand. Die Hotels wissen, was Wanderer jetzt brauchen. In großen Lettern preisen sie an: SAUNA, JACUZZI, MASSAGE, BAR. Ich möchte das volle Angebot nutzen, dann an der Bar versacken. Doch wir laufen weiter. Nach dem kleinen Ort geht es für weitere fünf Kilometer durch ein Waldstück unaufhörlich bergauf. Eine kurze Ebene, ein steiles Stück bergab, nur um dann alles wieder nach oben zu krakeln. Gegen 16.30 Uhr erreichen wir die höchste Stelle. Eine Herde Schafe und ihr Hirte begrüßen uns hier in der Einsamkeit. Es werden Hände geschüttelt. Der Mann lacht über unser großes Gepäck. Auch wir müssen irgendwie lachen. Natürlich war es eine törichte Idee den Lykischen Weg statt mit Marschgepäck mit unserem vollen Reisegepäck zu laufen. Und eine Herausforderung.
Wir laufen wieder bergab. Vor uns nun schroffe Felsen und zahllose Bäume. Die meisten davon verkohlt, irgendwann abgebrannt. Der Weg windet sich bald in schmalen Serpentinen.
Immer wieder müssen wir über umgestürzte Bäume klettern. Um ehrlich zu sein, klettern wir mehr, als dass wir wandern. Noch immer ist alles voller verbrannter Natur. Keine Möglichkeit unser Zelt aufzustellen. Eigentlich kann man hier nicht mal vernünftig langlaufen.
Bald kommen wir in ein dichtes Waldstück. Der Pfad windet sich in engen Kurven, die dem Radius einer kleinen Wendeltreppe ähneln, nach unten. Es ist beinahe 17 Uhr und die Umgebung macht nicht den Anschein, bald mit einem geeigneten Zeltplatz aufzuwarten. Schnell wird es im Wald dunkel. Das dämmrige Licht schafft es nicht durch das dichte Geäst. Wenige Augenblicke später laufen wir mit Taschenlampen durch die tiefe Nacht. Und nirgends auch nur eine Handbreit Platz für unser Zelt. Langsam suchen wir verzweifelt, haben Angst vor Schlangen und anderem Getier, das hier auf dem Laubboden nur schwer auszumachen wäre, hoffen nur noch endlich das Ende des Waldes zu erreichen.
Irgendwann gegen 19 Uhr, wir laufen schon seit über zwei Stunden durch den Wald, geben wir auf. Abseits des Weges finden wir eine völlig ungeeignete, weil schräge Stelle, in der wir gerade so, mit Mühe und Not, unser Zelt aufstellen können. Wir sind völlig entkräftet. Mehr als 20 Kilometer sind wir heute gelaufen. Die meiste Zeit ging es steil bergauf. Seit über vier Stunden haben wir die schweren Rücksäcke nicht mehr abgesetzt. Der nächste Ort Olympos ist weit mehr als acht Kilometer entfernt. In zurückliegender Richtung sind es knapp 13 Kilometer, die uns von menschlichen Behausungen trennen.
Wir liegen gerade im Zelt, erleben unsere schmerzenden Körper in voller Intensität, da hören wir ein lautstarkes Rascheln aus Richtung des Pfades. Noch ein verirrter Wanderer, denken wir, bevor das Rascheln vom Weg abkommt und dann – ganz plötzlich – direkt neben unseren Ohren: ein deutliches Knurren.
Schlagartig hören wir auf zu atmen. Wölfe!? Sind wir hier nicht im Nationalpark Olympos Beydağları? Ist das nicht ein Schutzgebiet wilder Tiere? Tiere, die nachts von den bis zu 2.000 Meter hohen Bergen hinab in die Wälder kommen, um etwas Fressbares zu suchen? Schockiert gucken wir uns an, kommunizieren nur mit den Augen, wagen nicht zu sprechen. Stille. Nichts passiert. Trotzdem trauen wir uns nicht uns zu bewegen. Dann von der anderen Seite. Rascheln an den Rücksäcken, die draußen neben dem Zelt stehen. Wir rufen laut. Ein erschrockener Sprung folgt. Dann knurrt es gar von beiden Seiten. Wir sind erledigt. Mitten im Wald zu zelten – unsere eigene Schuld.
Noch ein Knurren: Wir hören auf zu atmen. Ein drittes Knurren: Wir kapitulieren innerlich, vergraben das Gesicht unter den Händen, rechnen jederzeit mit einem Angriff. Ein weiteres Knurren: Ein kalter Schauer jagt über unsere Körper. Gleich geht es los. Ein fünftes Knurren: Laut wummernd schlagen unsere Herzen bis zum Hals.
Trotz der vielschichtigen körperlichen Reaktionen, ist das, was gerade in unseren Köpfen los ist, erschreckend banal. Wir denken nur: Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Dann wieder Stille. Die Stille ist das Schlimmste. Sind die Wölfe lautlos davon geschlichen oder umrunden sie gerade im Verborgenen unser Zelt, planen einen Angriff, umkreisen uns konzentriert?
Angespannt warten wir, doch übermannt uns immer wieder Schlaf. Jedes Rascheln lässt uns jedoch wieder aufschrecken. Irgendwann nachts wieder ein Knurren in der Nähe des Zeltes. Dann wieder Stille. Jeder Windhauch, jedes Knistern im Laubboden verängstigt uns.
Die Nacht geht vorbei.

Lykischer Weg nahe Ölüdeniz
Lykischer Weg nahe Ölüdeniz

Tag 13: Olympos

Um 6 Uhr wachen wir gerädert auf. Wir können nicht fassen, was uns gestern Nacht widerfahren ist. Angriffslustige Wölfe direkt neben unseren Köpfen. Jetzt, im Licht der Morgensonne, verliert der Ort seine Bedrohlichkeit. Noch etwa 1,5 Stunden laufen wir durch den nicht enden wollenden Wald, bis wir Olympos erreichen.
Traditionell wird hier in einem der vielen Baumhäuser geschlafen, die mitverantwortlich sind für den Hippie-Mythos, den das winzige Dörfchen umgibt. Ohnehin scheint alles aus Holz zu sein. Restaurants, Kioske, Unterkünfte. Ein paar Althippies liegen noch am endlosen Strand, ein paar verwirrte junge Touristen streunen durch den Ort, auf der Suche nach einer wilden Party. Doch auch hier ist in der Nebensaison wenig los. Wir schlendern durch die vorchristlichen Ruinen der Lykier, doch dann ruft der Strand. Wir haben die letzte Station unserer Wanderung erreicht. Wir tauschen Wanderstiefel gegen Flip-Flops, legen uns auf die Liegen vor einer Bar, prosten uns mit Efes zu.
Das haben wir uns verdient.

Text und Fotos: Rochssare Neromand-Soma und Morten Hübbe, nuestra américa
Seit Februar 2015 gibt es auch ein Buch der beiden AutorInnen: Per Anhalter durch Südamerika, traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag


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