Spazieren wir über eine Wiese, denken wir uns vermutlich, wir sind gerade draußen in der Natur. „Die Natur bewahren“ oder „Zurück zur Natur“ sind Aussagen, die mit den Wiesen – wie wir sie zu großen Teilen in Österreich kennen – eigentlich nicht in Verbindung gebracht werden können. Denn fast nichts ist an Österreichs Wiesen „natürlich“.

Bevor sich der Mensch ausgebreitet und in die Natur eingewirkt hat, war in Mitteleuropa die Wiese eine Seltenheit. Vor rund 6.500 Jahren war der Wald die dominierende Vegetationsform. Von Natur aus waren nur wenige Gebiete waldfrei, wie beispielsweise die alpinen Regionen über der Baumgrenze, steile Felshänge, Lawinenbahnen, Moore oder Extremstandorte (z.B. Salzwiesen). Lebewesen, wie Wisente oder Wildpferde, sorgten für halboffene, grünlandähnliche Flächen, indem sie die aufkommende Vegetation abgrasten und zertrampelten. Auch der Biber kreierte teils andauernde Überschwemmungsgebiete, die nach Rückgang des Wassers eine wiesenähnliche Vegetation hinterließen. Die Mehrheit unseres Landschaftsbildes, wie wir es heute kennen, ist demnach kein natürliches System, sondern eine Kulturlandschaft infolge andauernder Bewirtschaftung.

Wiese am Bisamberg

Eine Wiese entsteht

Mit der Entwicklung des Menschen vom Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauer und Viehzüchter, begann dieser immer mehr in das natürliche Landschaftsbild einzugreifen. Zum Anbau von Nutzpflanzen wie Urgetreidearten wurden Waldflächen gerodet. Das Vieh weidete in unmittelbarer Umgebung der Gehöfte oder wurde in die Wälder getrieben, was zur Auflockerung des Waldbestandes führte. Als dann die Stallhaltung immer mehr aufkam, waren die Bauern gezwungen Futter für den Winter einzulagern. Schnell merkte man, dass das Abmähen von vergrasten Weiden zur Heugewinnung nicht sehr effizient war und die Bauern fingen an gezielt Flächen als Mähwiesen zu schaffen und von der Beweidung auszuschließen. Mit diesem Schritt waren die eigentlichen Wiesen geboren.

Himmel und Hölle

Für Tierarten, wie das Rebhuhn oder den Kiebitz, die zuvor auf den seltenen Grünflächen lebten, war dies im wahrsten Sinn ein gefundenes Fressen. Sie breiteten sich auf den extensiv bewirtschafteten Flächen stark aus, die Artenvielfalt in solchen Gebieten stieg enorm. Extensive und nicht gedüngte Wiesen gehören heute zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. Doch sie werden weniger und die Arten, die auf und in ihnen vorkommen, sind bedroht.

Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft änderte sich die Bewirtschaftung von Wiesen vollends. Flächen, die früher zehn Menschen in einer Woche mit der Sense mähten, schafft nun ein Landwirt mit Traktor und Mähwerk in drei Stunden. Statt ein oder zwei Mal im Jahr werden die gedüngten und nährstoffreichen Wiesen bis zu sechs Mal gemäht. Einige Grasarten setzen sich durch und verdrängen andere Pflanzen. Eine ungedüngte Wiese (Magerwiese) wird 30 bis 50 Zentimeter hoch und ist lückenhaft, eine gedüngte Wiese (Fettwiese) kann bis zu 100 Zentimeter wachsen und ist dicht. Der Boden in solchen Wiesen ist kühl und schattig, viele Insekten kommen mit diesem Mikroklima nicht zurecht. Nur wenige Arten kommen in gedüngten und intensiv bewirtschafteten Flächen vor.

Die Krux an der Sache

Fordern wir ein „Zurück zur Natur“ zum Erhalt der Artenvielfalt in Magerwiesen, macht es keinen Sinn, diese Flächen sich selbst zu überlassen. Ohne Pflege von Mensch oder Weidetieren wandelt sich die Kulturlandschaft zurück zum Wald – und somit sinkt die Artenvielfalt. Laut Umweltbundesamt ist die „Verwaldung“ der Kulturlandschaft eine besonders starke Bedrohung für die Biodiversität, ähnlich wie die Intensivierung der Landwirtschaft. Nun könnte man darüber philosophieren, welchen Naturraum wir schützen oder erweitern wollen (Wald oder Wiese). Dazu kommt noch die Klimakrise, die sich bereits massiv auf das Grünland auswirkt. Dort, wo früher die Vegetationsperiode Mitte bis Ende April begann, beginnt sie heute bereits in der zweiten Märzhälfte. Was mit Ende Oktober aufhörte zu wachsen und zu blühen, ist heute teilweise bis Ende November noch aktiv.

Die Klimakrise wird, so sehen es viele ExpertInnen, in Zukunft der entscheidende Faktor bei der Bedrohung der Biodiversität sein. Österreichs Artenvielfalt ist mehr zufällig als geplant in einer Zeit entstanden, in welcher sich Tier- und Pflanzenarten großräumig ausbreiten konnten, und beste Lebensbedingungen vorfanden. Diese Bedingungen gibt es nun nicht mehr. Offen bleibt, wie wir nun weiter mit der sinkenden Artenvielfalt umgehen, und wie sie uns fehlen wird.

Dieser Artikel erschien erstmalig im Magazin weitweg 1/2024 der ÖAV Sektion Weitwanderer.


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